Yoga für die Seele

- in den besonderen Zeiten des Lebens -

Mein Weg zu Yoga, mein Yogaweg und überhaupt mein Weg


Ich heiße Natalie und bin 32 Jahre alt. Ich bin mit Leib und Seele dreifache Mama und aufgrund des Todes meiner Erstgeborenen verwaiste Mama - auch mit Leib und Seele. Und vielleicht mehr mit Seele als mit Leib praktiziere ich Yoga und bin seit Mai 2019 Yogalehrerin. Und das hat wiederum sehr viel, wenn nicht ausschließlich, mit dem Tod meiner Tochter zu tun. So begann mein Weg zu Yoga - so begann mein Yogaweg.

Bis dahin führte ich ein ganz normales, sehr glückliches Leben. Nein, eigentlich ein perfektes: ich lebte in einem friedlichen, freien Land, in totalem Überfluss an materiellen Dingen und in dieser Hinsicht völlig sorglos. Ich habe eifrig gelernt für einen guten Schulabschluss, studiert, eine guten und sicheren Job bekommen. Ich habe in jungen Jahren meine bessere Hälfte kennen und lieben gelernt, die wenige Jahre später zu meinem Ehemann wurde. Ich hatte das Privileg, unser gemeinsames Leben in einer wunderschönen Wohnung in der Stadt, die ich liebe, zu beginnen. Ich hatte die unfassbare Freude, mit dem gewünschesten Wunschkind überhaupt, schwanger zu werden und ein gesundes Mädchen in sorgloser Liebe auf die Welt zu bringen... und einfach nur über alle Maße glücklich zu sein. So war es - 16 Monate lang. Und manchmal wurde mir tatsächlich schwindelig vor lauter Glück und mein perfektes Leben machte mir Angst für ein paar Momente. Heute denke ich, es war eine Art Vorahnung. Für all das war ich zutiefst dankbar und ich genoß es in vollen Zügen - mein, unser Leben, die Welt.

Diese Welt brach zum ersten Mal zusammen als mein Mädchen im Alter von 16 Monaten an einer für Kinder sehr seltenen Art an Krebs erkrankt ist. Und so bauten wir uns eine neue Welt, die voller Liebe war und zwar ganz ohne Bedingungen. Eine Welt, mit unsagbarer Angst, stechendem Schmerz und bodenloser Verzweiflung. Wir lebten auf einmal die andere Wahrheit des Lebens, die im Kern aus Erdulden und Ertragen bestand. Und trotz dieser unfassbar ungerechten Situation und all dem Leid, das über unser kleines Kind und mich herein gebrochen war, hatte ich ein Welt- und Gottesbild, dass geprägt war von HOFFNUNG und Gerechtigkeit. Ich hatte Vertrauen auf einen lieben Gott, der seine schützende Hand über ein argloses, unschuldiges Kind hält. Ich glaubte und betete unaufhörlich. Und der Glaube trägt! aber eben nur solange es Hoffnung gibt auf ein „es wird wieder gut“. Umso weniger getragen und völlig haltlos wird man, wenn es keine Hoffnung mehr gibt für all das, woran man geglaubt und wofür man gebetet hatte. 

Denn meine Welt brach zum zweiten Mal zusammen - an einem warmen Septembernachmittag, auf der onkologischen Station der Kinderklinik. Diesmal aber blieb nicht mal ein Scherbenhaufen übrig. Wir wussten, dass zehn Monate Kampf eines zweijährigen Mädchens mit ihrem Tod enden wird und mein Mann und ich das Schrecklichste erleben werden, was einem im Leben geschehen kann.

Absolut alles verlor sich, auch alles woran ich je geglaubt hatte, weil es nichts mehr zu hoffen gab. Was trägt dann, wenn alles bricht, zerbricht, wegbricht, auseinander bricht? Ich begriff schlagartig, wie viel Leid mir mein Glaube an einen persönlichen Gott, der über uns entscheidet, in dieser tiefsten Not zusätzlich aufbürdet - an jenem Nachmittag, am Bett meiner sterbenden Tochter, die mich so gutmütig anlächelte. Vielleicht aber gerade deswegen, begriff ich damals zum Glück im selben Augenblick auch, dass genau das eine Art der Befreiung war und ich durfte - wofür ich heute sehr dankbar bin - in etwas viel tieferes als Glaube eintauchen, als ich aufgehört hatte zu j e m a n d e m zu beten und mich voll und ganz auf mein sterbendes Kind einließ...

Da war ein Kraft in mir, die ich vorher nie gekannt hatte. Da war eine innere Stimme in mir, die mir genau das Richtige flüsterte, was zu tun war und wie. Da war diese unglaubliche Weisheit in den Augen der Zweijährigen, die immer mehr zum Vorschein trat, je schwächer der kleine Körper wurde. Sie ließ mich wissen, dass SIE „weiß“ - und zwar so viel mehr als ich. Und da waren diese wenigen, kurzen, so unglaublich wertvolle Momente, wo ihre Weisheit und diese innere Stimme in mir ein und dasselbe waren. Mich überfluteten - ohne dass ich mich vorher je damit befasst hätte - Gedanken, innere Bilder und aus der Tiefe aufsteigende Empfindungen von einer allumfassenden Verbundenheit, vom Kreislauf des Lebens, Sterbens und Wiederwerdens sowie die Gewissheit darüber, dass es mehr gibt als die Körperlichkeit und dieses „mehr“ beim Tod dahin schwindet, woher es kam. Und dass dieses „mehr“  alle Weisheit und Wahrheit in sich trägt. Immer wieder entdeckte ich in ihrem Sterbeprozess Parallelen zur ihrer Geburt und begriff den Tod nicht mehr als Gegensatz zum Leben, sondern eben als das Gegenstück zur Geburt.

Einige Zeit später nach dem Tod meiner Tochter, durfte ich absolut alles von diesen Erfahrungen in den Texten, Zitaten, Büchern und uralten Schriften der östlichen Lehren wiederfinden. Ich damit war mittendrin im „Yoga“, nur wusste ich es damals noch nicht.  Ich tauchte in ein Weltbild ein, dass nicht voller Widersprüche war, deren Umgang mit dem Tod kein „aber...“ in mir aufkommen ließ und vor allem - und das ist das Entscheidende - zu all meinen Erfahrungen passte und mir Antworten bieten kann, auf die unzähligen Fragen, die einem das Leben stellt, wenn das eigene Kind leiden und viel zu früh sterben muss. 

So waren mein Mann und ich nur einen Monat später am anderen Ende der Welt, an einem ganz besonderen Ort, fernab unserer gewohnten westlichen Konsum- und Leistungsgesellschaft, die wir nicht ertragen konnten. Diese Auszeit war sehr wegweisend für uns und ich durfte eine wunderbare Yogalehrerin kennen lernen, die mich mit ihrem Unterricht begreifen ließ, was Yoga mit mir, mit uns, mit meiner Trauer, mit dem Sterben und mit dem Leben zu tun hat. 

 Ich durfte ich eine Lehre und eine Praxis eintauchen, die genau all das beinhaltet, was sich in mir und mir als Weg aufgetan hatte  - Überwindung von Trennung, welche eine von den fünf Ursachen des Leidens sind, Verbundenheit spüren, sich selbst begreifen als eingebunden in ein Großes Ganzes, mit dem höchsten Ziel der Einheitserfahrung. 

Diese ersten Impulse haben mich gefestigt in meiner Wahrnehmung und einen kleinen Funken der Hoffnung entfacht. Und so stand ich tatsächlich um sieben Uhr morgens nach einer durchgeweinten Nacht auf der Matte - ich weiß bis heute nicht, wie das ging , aber ich tat es. Ich durfte lernen, was die Asanapraxis mit all dem zu tun hat. Ich spürte,  wie sich meine völlige Kraft- und Mutlosigkeit durch das verwurzelte Stehen in Balancehaltungen in etwas anderes verwandelte. Ich erlebte, wie Vorbeugen meine Wut und den Groll über all die erlittenen Quallen, in tiefe Demut verwandelten. Ich konnte Liebe empfangen und fühlen bei herzöffnenden Asanas. Und überhaupt... ich konnte fühlen!!! Irgendetwas in mir war nicht gestorben und dieses etwas wollte ich entdecken. Es war der einzige Weg zu meinem Kind! - mein Yogaweg.


Trauern bedeutet Arbeit und Yoga entspricht dem als ein Weg des aktiven Handelns. Es ist ein Weg der kleinen Schritte. Und gleichzeitig ist er das Ziel. Dieses Ziel schenkt Orientierung und Halt und einen gelebten, erfahrbaren und damit unerschütterlichen „Glauben“ an ein höheres, göttliches Selbst in jedem von uns. Es ist ein Weg des Bewusstwerdens über alles nicht Greifbare und der Achtsamkeit gegenüber allem Greifbaren. Und schließlich auch der Weg der Erkenntnis, wie beides - das Greifbare und Nichtgreifbare - zusammengehört. 

Ich ging und gehe Weg der aktiven Trauer und nicht den des Absturzes oder der Ignoranz und auf diesem Weg entdeckte ich durch Yoga die mir und in mir zur Verfügung stehenden Ressourcen. Neben Eigenschaften wie Geduld, Vertrauen, Weitsicht und Mut sind es vor allem die inneren Kräfte:

– die Geisteskraft, die mich mit dem Universum verbindet

- und die Bauchkraft als meine stabile Basis 

Wenn ich meine Natur als ein nicht-wissendes Wesen akzeptieren muss, dann habe ich es in der Hand, meinen tiefsten "Glauben an Sinn“ und mein Vertrauen darauf aus der unerschöpflichen Quelle in mir heraus zu entwickeln. Aus einer Quelle, zu welcher Yoga mich führt. 

Das Leben wandelt sich, die Trauer wandelt sich - die Verbundenheit bleibt.